Kempten August 2015
Die Idee
Mein bester Freund Paul und ich erwarben in diesem Jahr unseren
Schulabschluss und das musste gefeiert werden, bevor sich unsere Wege bald
ein wenig trennen würden. Ein Wochenende mit Filmen und Pizza oder ein
Kinobesuch würde da nicht ausreichen, das wussten wir. Da ich seit meinen
letzten zwei Reisen mit “YAT-Reisen“ ziemlich überwältigt von den Touren,
den Leuten und allgemein dem ganzem Konzept war, wollte ich auch Paul in
den Genuss bringen, einen tollen Urlaub zu erleben. Das würde ein Debut für
ihn werden, denn mit großen Reisen konnte er bislang leider noch keine
Erfahrungen machen.
Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, sowohl mir als auch ihm in dieser Zeit tolle Erlebnisse zu bescheren, bevor wir uns beide in das Unbekannte stürzten. Aber warum ausgerechnet Kempten?
Normalerweise war ich nicht so für Reisen innerhalb Deutschlands, noch dazu ohne Hard
Rock Café. Aber für Paul würde es die erste Reise werden und er wusste noch
nicht, wie genial er YAT einmal finden würde. Für seine Sicherheit und auch
um zu vermeiden, dass seine Eltern sich groß Sorgen machen mussten, wählte
ich ein Ziel in Deutschland. Was noch für Kempten sprach? Dimi, ein ziemlich
cooler Typ, der mich auf meiner ersten Reise mit YAT begleitet hatte. Er war
schon sehr lange dabei und war eben unter anderem auch schon dort gewesen.
Die Tatsache, dass ich gerade ihn als Begleiter für ein 4-tägiges Festival
ausgewählt hatte, sollte Vertrauensbeweis genug sein. Wenn er meinte, in
Kempten wäre es cool, dann hatte er sicher Recht und ich sollte buchen. Also
los!
Einige Wochen vor Start erfuhr ich, dass auch Julian, den ich schon von
anderen Reisen kannte, mitkommen würde. Meine Teamerin Sabrina klang am
Telefon total nett und abenteuerlustig. Schon im Voraus planten Paul und ich,
was wir gerne unternehmen würden. Später blieb uns dann nichts anderes
mehr übrig, als uns auf das Kommende zu freuen.
Tag 1
Ohne Frage: 05:00 Uhr aufstehen ist zu früh für meinen Geschmack! Aber was
tut man nicht alles für einen tollen Urlaub mit seinen Besten. Gegen 06:30
fuhr ich mit meinem Vater nach Weimar, dort wurden wir (Paul und ich) von
einem YAT-Bus nach Paderborn gefahren. Dort ist das Hauptbüro des
Reiseveranstalters. (Wenn wir gewusst hätten, dass wir noch einmal nach Paderborn
gefahren werden und so einen Umweg machen, wären wir vermutlich nicht erst nach
Weimar gefahren. Von mir ist Paderborn 2:45 h entfernt.) Gegen 10:30 Uhr kamen
wir dort an, wurden mit unserem Gepäck in andere Busse eingeladen und
trafen den Rest unserer Gruppe (auch meinen Kumpel Julian). Mit drei Bussen
waren wir jetzt in Richtung Kempten unterwegs, da wir vorschriftsmäßig aller
90 Minuten Pause machen mussten, war die Fahrt unendlich lang. Es war
trotzdem ziemlich lustig. Ich für mich beschloss an diesem Tag jedoch: 10
Stunden, die Fahrt bis nach Weimar inklusive, waren mir einfach zu lange.
Beim nächsten Mal würde ich ganz sicher erfragen, ob es noch andere
Haltepunkte auf der Strecke geben würde oder nicht. Noch dazu, weil Weimar
ja eigentlich absolut auf der Strecke lag. Halb so wild, beim nächsten Mal ist
man schlauer!
Gegen 19:30 Uhr erreichten wir endlich unsere Unterkunft, die JUFA
Kempten. Ausgehungert stürzten wir uns auf das Buffet beziehungsweise die
warme Mahlzeit, die es jeden Abend gab. Das Essen war eigentlich sogar ganz
gut, nur hatte der Veranstalter Vollpension für uns gebucht, wodurch wir nicht
viel machen konnten. Aber dazu später. Nach dem Essen bezogen wir unsere
Zimmer (2-Bett-Zimmer in angemessener Größe). Die Toilette hatte allerdings
keine Griffe und das Bad war klein, also nicht für jede Form von Rollstuhl
geeignet. Unten gab es noch eine Toilette mit einem Griff, die wurde allerdings
22:00 Uhr zugeschlossen. Chaos!
Am Ende des Tages liefen (fuhren) wir noch zum angrenzenden Schwimmbad,
Cambomare, und beschlossen dieses am nächsten Tag zu besuchen. Jetzt fielen
wir nur noch völlig erschöpft ins Bett. Was für ein Tag!
Tag 2
An diesem Tag blieb der Wecker still, was wahrscheinlich auch der Grund
dafür war, dass wir erst um 11:30 Uhr in unserem Gruppenraum saßen. Jetzt
konnten wir uns zwischen Mittagessen und Frühstück entscheiden, unsere
Wahl fiel auf das Frühstück. Nach einer kurzen Pause, frühstücken ist
anstrengend :), begaben wir uns gegen 14:00 Uhr ins Schwimmbad. Ich kann
nicht alleine schwimmen, doch auch ich war im Wasser. Den meisten Leuten
bei YAT kann man echt in jeder Lebenslage vertrauen, das habe ich
mittlerweile gelernt. Und auch wenn wir erst eine kurze Zeit so zusammen
waren, merkte ich, die Gruppe war super. Das ist lediglich ein Grund,
weswegen ich Verreisen auf diese Art und Weise immer weiterempfehlen
würde! Da man in diesem Erlebnisbad auch Essen und Trinken, Rutschen oder
einfach nur mit Musik auf den Ohren entsannen konnte, war es hier gut
möglich, den ganzen Tag zu verbringen. Besonders beliebt war die
Außenanlage. Natürlich alles barrierefrei! Doch Schwimmen mit allem, was
dazu gehört, ist für die meisten Rollstuhlfahrer immer sehr aufwendig und
nicht ganz einfach. Also entscheidet einfach individuell. Es gab hier auch einen
Wellnessbereich mit Sauna, den ich allerdings nicht beurteilen kann.
Irgendwann mussten wir zum Abendessen, doch eins war sicher: Wir würden
wiederkommen!
Abends spielten wir in unserem Gruppenraum Gesellschaftsspiele, tranken
Bier oder eben Cola 🙂 und aßen Knabberzeug, hörten wahrscheinlich viel zu
laut Musik und als wir das nächste Mal auf die Uhr schauten, war es 02:00 Uhr
morgens. Schlafenszeit!
Tag 3
Am dritten Tag besuchten wir die Innenstadt von Kempten, eine sehr schöne
Innenstadt. Aber: sehr bergig, und so viel es auch den fitten von uns sehr
schwer, selbst zu fahren. Nachdem wir uns eine Weile gequält hatten,
beschlossen wir gegen die Hitze ein Eis in einem großen Einkaufszentrum
essen zu gehen. Ein Teil von uns war ins Kino gegangen. Nach einer
Shoppingtour trafen wir uns mit ihnen beim Italiener und ließen den Tag bei
Pizza und Hugo ausklingen. Lustige Info nebenbei: In der Rollstuhltoilette
stand ein Sessel mit Samt bezogen, dort haben es Sabrina und ich uns erst
einmal bequem gemacht!
Was uns jetzt schon auffiel (leider): Uns standen nicht wirklich viele Kilometer
pro Tag zu, wodurch wir unsere Unternehmungen auf den Umkreis
beschränken mussten.
Tag 4
Heute war nichts mit Ausschlafen, denn wir machten einen Tagesausflug.
Kempten oder allgemein Bayern ist ja schließlich für seine tolle Natur und die
tollen Berge bekannt. Wir fuhren zum Baumwipfelpfad, dem Skywalk, nach
Scheidegg. Diese Attraktion war im Preis enthalten. Die Fahrt dorthin dauerte
etwa eine Stunde. Es gab überall Fahrstühle und die einzelnen Ebenen waren
stufenlos zu erreichen. Der Baumwipfelpfad bot eine traumhafte Aussicht in
die Allgäuer Berge und die Bodenseeregion.
Im Großen und Ganzen war das ein sehr schönes Erlebnis für uns alle, nur war
der Weg bis zum Pfad ziemlich steil, so dass alle bis dorthin geschoben werden
mussten. Das war ziemlich schade, denn so war das Konzept im Detail doch
nicht komplett barrierefrei.
Am Abend waren wir noch bowlen und so ließen wir den Tag ausklingen.
Tag 5
Heute ging es mal wieder ins Schwimmbad, auch aus dem Grund, weil wir
diesmal eine vernünftige rollstuhlgerechte Dusche aufsuchen wollten. Der Tag
hier ließ sich echt gut verbringen, wir aßen Hawaii-Baguettes und tranken
alkoholfreies Bier. Ja, und natürlich waren wir auch schwimmen.
Am Abend fuhren wir feiern. Eine rollstuhlgerechte (zumindest im
Eingangsbereich) Diskothek namens Park Theater war unser Ziel.
Achtung: Eine geeignete Toilette gab es hier nicht.
Auch wenn wir nicht tanzten, waren wir trotzdem erst gegen 04:00 Uhr
morgens in Bett. Das nenne ich mal “Normalität in dem Alter”, auch als
Rollstuhlfahrer. Ist das nicht das, was wir alle wollen? Normalität und
Selbstbestimmung.
Tag 6
Von diesem Tag gibt es nicht viel zu erzählen, denn wir waren erst zum
Mittagessen aufgestanden. Es gab Camembert und Preiselbeeren. Nach dem
Essen legten wir uns erstmal wieder hin. Nach 2 weiteren Stunden Schlaf
setzten wir uns mit Musik in die Sonne, aßen Donuts und tranken Kaffee. Am
Nachmittag veranstalteten wir noch eine fiese aber sehr lustige
Wasserschlacht. Abends tauschten wir den Kaffee gegen ein Bananenweizen
ein. Morgen würde es in den Freizeitpark Skyline gehen.
Tag 7
Wie schon gesagt, heute ging es in den Freizeitpark Skyline, 50 Minuten von
unserer Unterkunft entfernt. Der Park bot viele Möglichkeiten, zumindest für
uns im Aktivrollstuhl, die wir uns noch einigermaßen bewegen konnten. Der
Park wurde im Voraus bezahlt und die Kollegen an den Attraktionen waren so
kulant, dass wir bei jedem Karussell, in welchem wir saßen gleich zwei Mal
fahren durften. Ich konnte Schiffsschaukel, Wildwasserbahn, Auto-Scooter,
den Pendel und eine Achterbahn fahren. Allerdings gab es keine Attraktionen,
wo man direkt mit dem Rollstuhl reinfahren konnte. Der Park verfügte
außerdem noch über ein 4D-Kino, allerdings war es dort eng und es gab
Treppen. An dieser Stelle muss man selbst entscheiden, ob man das sich und
seinen Mitmenschen zutraut. Für Olli, unseren E-Rollstuhlfahrer, war leider
nur der Auto-Scooter möglich. Sehr schade. Aber auf Gruppenreisen ist es
eben schwierig, es immer Allen Recht zu machen.
Nach etwa vier Stunden kehrten wir wieder heim, erschöpft, doch auf alle Fälle
sehr glücklich über die Geschehnisse des Tages.
Am Abend veranstalteten wir mal wieder einen, bis in die frühen
Morgenstunden andauernden, Spieleabend und fielen anschließend völlig
fertig ins Bett.
Tag 8
Unsere Kilometer waren fast aufgebraucht, ziemlich ärgerlich. Da blieb uns
wohl nichts anderes übrig als schwimmen zu gehen, Sangria aus Eimern zu
trinken und tiefschürfende Gespräche zu führen :). Wir waren ein gutes Team
geworden und sind echt zusammengewachsen. Das ist er, der YAT-Zauber.
Und wem gefällt es mit 18 Jahren bitteschön nicht, einfach einen Tag in der
Sonne rumzugammeln?
Tag 9
An unserem letzten richtigen Tag besuchten wir eine Sommerrodelbahn, im
Nachhinein wahrscheinlich eine Fehlentscheidung aber dazu komme ich noch.
Die Rodelbahn hat wirklich Spaß gemacht, man konnte entweder zu zweit (so
dass der “Läufer” das Lenken und Bremsen übernehmen konnte) oder alleine
fahren, wenn man sich dazu im Stande fühlte. Allerdings sind einige von uns,
die erst alleine gefahren waren, die zweite Runde doch lieber mit einer
Begleitung die Piste runtergebrettert.
Die Aussicht und die Natur waren wirklich wunderbar, doch auch hier musste
man sich umsetzen und teilweise waren die Sitze ziemlich eng. Hier muss sich
wieder jeder selbst fragen.
Die große Kehrtwendung des Tages: Aus irgendeinem unerklärlichen Grund
kippte die Gondel aus der Bahn, als Sabrina mit einem anderen Teilnehmer
gefahren war. Die Folgen: Sie hatte eine Schulterprellung erlitten und das
bedeutete, sie würde am nächsten Tag als Fahrer ausfallen. Außerdem hatte sie
große Schmerzen.
Niedergeschlagen von dem Vorfall gingen wir heute, für unsere Verhältnisse
früh aber trotzdem noch viel zu spät, ins Bett. Morgen mussten wir früh
aufstehen, um die gewaltige Heimfahrt zu bewältigen.
Wie bei jeder meiner YAT-Reisen machte sich an dieser Stelle
Abschiedsschmerz breit!
Tag 10
Um 05:00 Uhr aufstehen ist wirklich nicht meine Stärke, zum Glück ging es
allen anderen auch so. 06:30 Uhr holten wir für unseren Bus, bestehend aus
Hanna (Teamerin), Julian, Paul und mir (meiner Meinung nach ja der coolste
Bus), ganz viele Instant-Kaffees aus dem Kühlregal, 2 Flaschen Cola und eine
Packung Frikadellen. So müssten wir es überleben. …
Trotz guter Musik und eigentlich auch guter Stimmung war die Fahrt
unerträglich lang, ganz besonders weil wir große Umwege fahren mussten.
Gegen 14:30 Uhr kamen wir in Paderborn an, der Abschied war, wie erwartet,
sehr emotional. Leider ist das nicht übertrieben, denn manche von diesen
Menschen sieht man wirklich nie wieder.
Gegen 17:00 Uhr kamen Paul und ich in Weimar an. Sicher war: Wir beide
würden uns wiedersehen! Und sicher war auch: Das war eine wirklich tolle
Zeit. Die nächste YAT-Reise zusammen würde nicht mehr lange auf sich warten
lassen.
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